Hier mal wieder ein Lebenszeichen aus Brasilien. Nachdem wir die ersten Monate gut überstanden haben und uns hier sehr wohl fühlen, geht’s heute zum ersten Mal wieder für 10 Tage in die Heimat! JGA, Hochzeit und 30er Geburtstag… nice program!
Aber vorher gibts hier noch die angekündigten Top 5 Dislikes dran. Enjoy und bis bald...
1. Traffic…
Wir hatten schon vor unserer Ankunft viele Horrorgeschichten über den Verkehr in Sao Paulo gehört, aber wenn man erstmal hier lebt ist es wirklich noch um einiges schlimmer. Je nach Statistik verbringt jeder Einwohner Sao Paulos ca. 3 Stunden pro Tag im Auto (wir haben schon jemanden kennengelernt, der 7 Stunden am Tag pendelt. Woowww)…da ca. 62% der Einwohner ein Auto besitzen und 38% der Paulistas (macht ca. 5 Mio. Menschen!!!!) jeden Tag das Auto nutzen kommt es manchmal zu Staus von bis zu 350 Kilometer innerhalb der Stadt (Feierabendverkehr), durchschnittlich sind es aber an normalen Wochentagen eher 120 Kilometer. Daher gibt es einen eigenen Radiosender der 24 Stunden lang nur über die Lage der Straßen in Sao Paulo spricht. Wenn man zw. 17 und 20h zu unserem 2 Kilometer entfernten Supermarkt fährt, braucht man sage und schreibe bis zu 45 Minuten durchschnittlich – nach 20/21h nur 5 Minuten. Selbst um 5h morgens standen wir hier schon 30 Minuten im Stau (ok, es war Ferienzeit…). Wir selber brauchen glücklicherweise kein Auto um zur Arbeit zu kommen, sondern sind zu Fuß oder mit „Öffentlichen“ unterwegs. Das funktioniert auch sehr gut, nur Platzangst darf man nicht haben.
2. Size…
Die Größe und Ausdehnung der Stadt ist mit keiner europäischen Stadt vergleichbar, vielleicht am ehesten mit Tokio oder Peking. Insofern dauert alles seine Zeit, so dass es quasi unmöglich mehr als zwei Sachen an unterschiedlichen Orten zu an einem Tag zu planen. Außer die Locations liegen wirklich nebeneinander oder auf dem Weg….Einfach weil die Entfernungen zu groß sind und die Infrastruktur der „Öffentlichen“ noch nicht genügend ausgebaut ist, um schnell von A nach B zu kommen. Die wenigsten Leute wohnen in der Nähe (2 km Umkreis) einer Metrostation und müssen daher eher auf den Omnibus oder das eigene Auto umsteigen (einige Verrückte wie wir auch gerne mal mit dem Fahrrad). Neben der Zeit die man zur Fortbewegung braucht, schlägt man sich dann noch oft mit Verkehr oder überfüllten Bahnen rum – das kann einen zusätzlich noch fertig machen. Nachdem wir die ersten Wochenenden noch versucht haben morgens schön in Itaim zu frühstücken, danach ins Museum nach Luz zu fahren, um nachmittags noch im Ibirapuera joggen und abends ums Eck Essen zu gehen, sind wir inzwischen dazu übergegangen den Tag weniger voll zu packen. Wenn man dann vielleicht noch auf ein Amt muss, sollte man sich am besten gar nichts mehr am selben Tag vornehmen. Sao Paulo kann ganz gut schlauchen :- )
3. Security...
Ja – das Thema Sicherheit ist leider in ganz Brasilien ein großes Problem, auch in Sao Paulo. Wobei immerhin die offiziellen Zahlen in Sao Paulo von einem starken Rückgang seit Mitte 2000 sprechen. U.a. wegen erhöhter Polizeipräsenz, Integrationsprogrammen und wahrscheinlich auch wegen einer größer werdenden Abschottung zwischen der wohlhabenden Schicht und ärmeren Gegenden. Aber Zahlen wie 457 gestohlene Handys pro Tag in Sao Paulo oder 1.200 Morde pro Jahr in der Stadt (20% davon von Polizisten verübt) zeigen ansatzweise die Probleme die es hier gibt (man muss das natürlich immer in Relation zu über 12 Mio. Einwohner setzen).
Wir selber fühlen uns bisher recht sicher hier und hatten glücklicherweise noch keine negativen Erfahrungen – aber wir gehen natürlich schon anders aus dem Haus als in Europa und halten uns an ein paar Regeln wie z.B.
Kein Handy beim Laufen oder im Zug nutzen
Ab 21h nicht mehr draußen herumspazieren sondern besser das Auto oder Taxi nehmen
Wenn man unterwegs ist immer etwas „wachsam“ sein
Low profile anziehen ohne dicke Uhr, auffällige Tasche etc.
Leere oder dunkle Stassen eher meiden
Naja es gibt die unterschiedlichsten „Vorsichtsmaßnahmen“ – das Wichtigste ist wohl das Bewusstsein, dass man immer wachsam oder „achtsam“ sein sollte. Aber „Achtsamkeit“ ist ja auch ein neuer globaler Trend, somit sind wir total in.
4. Unterschiede “Arm Reich”
Auch das ist ein Thema, was wir aus Europa eher weniger kennen und uns deshalb wahrscheinlich immer wieder negativ auffällt. Zum einen die eklatanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Vierteln, Wohnungen und Ausgehmöglichkeiten – innerhalb von 10 Minuten Bahnfahrt kann man von der teuersten Gegend Sao Paulos in eine große Favela fahren. Teilweise koexistieren beide sogar nebeneinander, wie in einem Viertel das Morumbi heißt. Während man in einer Favela vielleicht mit etwas Glück einen Fußballplatz, ein paar heruntergekommene Bars, kleine Geschäfte, vielleicht auch einen Platz oder ein Kulturzentrum als „Freizeit“-Möglichkeit hat, gehen die besser situierten in den hauseigenen Pool, ihr Fitnessstudio, danach in die nahegelegene, sichere Mall und abends noch ins Restaurant…. Alles Sachen, die sich in Sao Paulo nur eine bestimmte Schicht leisten kann, da die Preisunterschiede so gewaltig sind. In der Favela kann man einen Caipi für 4 Reais trinken, in Bars in angesagteren Viertel ist 15 – 25 Reais die Regel… und diese Unterschiede spiegeln sich dann leider auch in den Verhältnissen wie z.B. bei ärmeren Arbeitnehmern wider, die als Hausfrau, Putzkraft oder Portier in den „reicheren Wohntürmen“ arbeiten. Nach außen ist der Unterschied zw. den unterschiedlichen Klassen erstmal nicht ganz so auffällig wie bspw. in Südafrika, aber so nach und nach merkt man doch, dass der Unterschied der Hautfarbe und Herkunft unterbewusst noch eine große Rolle spielt. Z.B. ist es Gang und Gäbe, dass reichere Familien einen Ganztages-Nanny haben, die sich um Kinder, Küche und Haushalt kümmern – wenn dann die ganze Familie mit der Nanny zum Shoppen oder auch in Urlaub geht, muss die Nanny sich ganz weiß kleiden, damit für alle sichtbar ist, dass sie nicht die Mutter ist. Aber das Thema ist eines von zwei absoluten Tabuthemen in Brasilien (neben Kritik an der Abholzung des Regenwaldes im Amazonasgebiet) – insofern beobachten wir hier eher als mit Brasilianern darüber zu diskutieren.
5. Crowded
Wir hatten uns gerade so in Mannheim dran gewöhnt, dass man in angesagten Bars oder Restaurants immer häufiger reservieren oder anstehen muss. Aber hier hat das alles eine etwas andere Dimension angenommen – obwohl der Großteil aller Restaurants und Bars auf „Massen“ ausgelegt ist, kommt es vor dass man Dienstag abends erstmal 20 Minuten auf einen Tisch warten muss oder über eine Stunde für einen großartigen Burger am Freitagabend. Obwohl wir wahrscheinlich inzwischen schon etwas „brasilianisch“ sind, kann das manchmal ein wenig nerven. Überhaupt scheinen Brasilianer sehr gerne anzustehen, vor angesagten Eisdielen wartet man gerne schonmal über eine halbe Stunde für 5 Minuten Genuss. Eine Menschenschlange zeugt hier so ein wenig von Qualität der jeweiligen Dienstleistung und ist Teil eines Events – Carmen hat es sogar schon zweimal erlebt, dass sich Leute einfach in eine Schlange gestellt haben, obwohl es gar nichts zu kaufen oder sehen gab. Waren nur Touristengruppen, die auf ihren Bus gewartet haben :- ) Bei einem Fußballspiel habe ich nach 25 Minuten anstehen gemerkt, dass eine zweite Kasse offen war, an der sich aber niemand angestellt hat (weil sie etwas verdeckt war)…naja, hat niemand drauf hingewiesen, also waren die meisten wie ich 10 Minuten nach Anpfiff im Stadion…war trotzdem sehr gute Stimmung in der Schlange (die gleiche Situation bei Eintracht in Frankfurt wäre etwas anders ausgefallen)… Ja…und zu guter Letzt leben hier im Großraum die 25 Millionen Menschen…insofern ist eigentlich immer alles voll. Ob „Wurstmarkt Zustände“ im Zug oder über 100.000 Personen im größten Park Sao Paulos am Sonntag.