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Crackolandia

Obwohl Brasilien nicht direkt an der Drogenproduktion beteiligt ist, gilt es als ein wichtiges Transitland für den Handel von Kokain nach Europa sowie Kolumbien, Bolivien und Peru. Zudem hat in den letzten Jahren der Konsum innerhalb Brasilien, so gut wie in allen Regionen,

stark zugenommen. Die dabei „beliebteste Droge“ ist Crack, ein Gemisch aus Kokainsalz und Backpulver, das zumeist als Klumpen verkauft wird und dann mit einer Crackpfeife geraucht wird. Beliebt ist die Droge primär wg. dem günstigen Preis von 2 Dollar pro Klumpen und der relativ einfachen Beschaffung – dafür bekommt man dann ein kurzeitiges Hochgefühl, was sehr schnell wieder abklingt (10-15 Minuten) und das Verlangen nach „mehr“. Je nach Studie geht man von aus, dass im letzten Jahr zwischen 1 – 2 Millionen Brasilianer diese Droge zumindest

ausprobiert haben.

In Sao Paulo selbst ist sogar in ein paar Straßenzügen mitten im Zentrum (Bahnhof Luz) eine Ansammlung von Cracksüchtigen, Obdachlosen und Dealern entstanden, die je nach Tages- und Nachtzeit bis zu 2.000 Menschen beträgt. Zumeist werden leerstehende Gebäude oder Matratzen auf der Straße als Übernachtungsmöglichkeiten genutzt, aber es gibt inzwischen auch einige NGOs die leerstehende Häuser nutzen, um zumindest einem Teil der Abhängigen und Obdachlosen eine Bleibe mit Betten und sauberen Laken zur Verfügung stellen… Nichtsdestotrotz bleibt diese Ecke der Stadt eine der gefährlichsten ganzen Sao Paulos, zumeist wg. Drogenbeschaffung oder Überfällen.

Durch einen Kollegen bei der Arbeit hatte ich die Möglichkeit diese Woche eine NGO vor Ort in Crackolandia kennenzulernen…die NGO heißt Quixote (http://www.projetoquixote.org.br/) und liegt direkt neben dem großen Bahnhof Luz. Es war eine sehr einprägsame Erfahrung – schon alleine die Umgebung ist wirklich etwas furchteinflößend und wie von einer anderen Welt. Es ist sehr schmutzig, es riecht nach Urin, Personen „wandeln“ im Rausch durch die Straßen, liegen einfach auf dem Boden rum und dazwischen stehen immer wieder Polizeiwagen und versuchen zumindest größere Delikte zu unterbinden…da es dort nicht möglich ist Bilder zu machen, habe ich anbei ein paar Bilder von Reuters genutzt, damit man eine Idee von dem Ausmaß und der Grausamkeit des Ortes bekommt.

Die NGO kümmert sich primär um Straßenkinder bis 18 Jahre, die aus unterschiedlichsten Gründen (Gewalt, Familienprobleme,…) von zu Hause weglaufen und lieber auf der Straße leben. Die meisten dieser Kinder (teilweise 3jährige mit ihren Brüdern/ Schwestern) kommen

aus der Peripherie Sao Paulos und steuern das Zentrum Sao Paulos an, da sie davon ausgehen dass sie dort Gleichgesinnte bzw. auch Hilfe finden. Und dort stoßen Sie dann auf die Straßenzüge Crackolandias, und werden oftmals selbst drogensüchtig und gewalttätig.

Die NGO besitzt ein kleines Gebäude und einen Hof (mit Spielmöglichkeiten/ Fußballfeld) am Rand von Crackolandia, der zwischen 7h und 19h offen ist. Neben der Möglichkeit ein wenig Ruhe von „der Straße“ zu finden, gibt es kostenlos 3 Mahlzeiten, einen Friseur und

Duschmöglichkeiten. Die Mitarbeiter kümmern sich um die Kids und versuchen primär mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, um ein wenig über Ihren Hintergrund, die Eltern oder Freunde zu erfahren. Dadurch können einige Kinder wieder zurück zu Ihren Familien geschickt werden oder in spezielle Organisationen untergebracht werden – aber viele Kinder leben monate- sogar jahrelange in diesen Straßenzügen. Viele kommen nur zur NGO um tagsüber zu schlafen, da man in dem Viertel aufgrund von Polizei, Dealern etc. nachts nie sicher ist… oder sie schlafen ihren Rausch aus.

Wir hatten während dem Besuch die Möglichkeit mit vier dieser Kids (3 Mädchen zw. 12 und 17 Jahren und ein Junge von 8 Jahren) zu sprechen. Alle leben schon seit über einem Jahr (eine sogar schon 8 Jahre) in diesem Viertel und bleiben meistens zusammen (z.B. damit nachts 3 schlafen können und einer „Wache“ hält). Rein vom Aussehen hätten man auch denken können, es handelt sich um normale brasilianische Jugendliche (geschminkt, saubere Klamotten, frisch geduscht, )… aber als sie dann anfingen ihre Geschichten und Ihren Drogen-Erfahrungen zu erzählen wurde schnell klar, dass sie alle kein gewöhnliches Leben haben. Die größte Angst haben die vier jede Nacht vor der Polizei, die scheinbar sehr skrupellos gegen die Straßenkids vorgehen. So musste eine der vier schonmal ihre langen Haare abschneiden, da ein Polizist ihr Kleber über die Haare gekippt hat – das haben die Mädels auch auf einem Smartphone festgehalten (scheint also nicht erfunden zu sein). Zudem ist die Polizei oftmals sehr korrupt oder selber drogensüchtig und nimmt den Strassenkids Drogen oder Geld ab. Diese Erzählungen haben einem ein Stück weit sprachlos bleiben lassen.

Am Schluss fragte uns eins der Mädchen, ob es in Deutschland auch Obdachlose gibt? Ja – die gibt es, aber glücklicherweise in den seltesten Fällen im Kindesalter. Funktionierende Heime oder Jugendämter wie es sie in Deutschland gibt, sind in Brasilien äußerst selten – der Staat überlässt die Kinder zumeist ihrem eigenen Schicksal.

Etwas bedrückt ging dieser Tag zu Ende – es war mal eine ganz andere Sao Paulo Erfahrung und zeigt wiedermal die krassen Gegensätze in dieser Stadt…aber so richtig schlau bin ich daraus nicht geworden – es ist deprimierend mit anzusehen, dass Kinder in einer der reichsten Städte

Südamerikas in solchen Verhältnissen aufwachsen müssen und sehr wahrscheinlich nie die Möglichkeit oder Motivation haben werden, ihr Leben wirklich zu leben: mit einem Dach über dem Kopf und ohne ständige Angst auf der Straße.

Hier noch zwei Artikel zu Crackolandia:

- https://news.vice.com/article/a-night-in-so-paulos-crackland

- http://www.bild.de/news/ausland/drogen/zwischen-triller-pfeifen-und-den-lebenden-zombies-von-sao-paulo-36546906.bild.html


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