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Sport in Sao Paulo


Wie und wo macht man eigentlich Sport in einer 25 Millionen Metropole mit wenig Platz und viel Verkehr? So richtig einheitlich beantworten lässt sich die Frage nicht – die jeweilige Situation ist wieder mal sehr stark abhängig von der sozialen Klasse eines Jeden einzelnen.

Untere Schicht: Leider ist Sport in den unteren Schichten Sao Paulos, insb. in den Favelas nicht weit verbreitet. Jeder hat zwar seinen Lieblingsfussballverein, schaut sehr viel Sport im Fernsehen, aber aktiv Sport treiben tun die wenigstens – wenn, dann Fussball ob mit oder ohne Feld.

Dies liegt meiner Meinung nach an drei Faktoren: 1) Platzmangel 2) Geldmangel 3) „Preguica“. 1) Die meisten Favelas sind an Hügeln gebaut und haben viele verwinkelte Straßen und enge Wege…insofern kann man hier wenig aktiv Joggen, Ball spielen oder Fahrradfahren. Abends sind die Plätze oder Straßen oft nur schlecht beleuchtet. 2) Da das Einkommen der meisten Personen aus ärmlicheren Schichten gerade so ausreicht die Mindestausgaben wie Essen und Miete zu decken, bleibt so gut wie nichts für Freizeitaktivitäten übrig – selbst billigere Fitnessstudios oder das Mieten eines Fußballplatzes ist nicht drin bzw. wenn Geld übrigbleibt wird es auch gerne für Fleisch, Bier oder Cachaca ausgegeben. 3) „Preguica“ nennt der Brasilianer „Faulheit“ – und auch das ist ein Grund für den wenigen Sport in ärmlicheren Gegenden. Tagsüber ist oft sehr warm und da bleiben viele Brasilianer lieber gemütlich zu Hause, trinken ein kühles Bier auf der Straße oder sind bei Familie/ Nachbarn um zum Feiern. Aktiv Sport machen passt da nicht richtig in das Wochenend-Motto „Descansar (ausruhen), tranquilo (gemütlich) und Preguica (Trägheit)“

Da aber diese Bewegungsabstinenz im Paket mit schlechter, fettiger Ernährung ein großes Problem für die Gesellschaft darstellt (schon jetzt gibt es ca. 50% Übergewichtige in Brasilien; es gibt Prognosen, die davon ausgehen, dass in 10 Jahren Brasilien die Amerikaner als „dickste Nation“ überholt), gibt es immer mehr Organisation/staatliche Institutionen die sich diesem Thema widmen. So wird z.B. in Schulen viel Wert auf Bewegung der Kids gelegt, es gibt in ärmlicheren Gegenden Sportstätten mit Schwimmbad, die von Schulklassen genutzt werden können. Zudem gibt es Gesundheitszentralen in Favelas, die aktiv Kurse anbieten und teilweise auch direkt zu den Leuten nach Hause gehen, um sie über Bewegungsmöglichkeit und gesunde Ernährung aufklären. Auch Monte Azul, die NGO in der ich arbeite, ist in diesem Bereich sehr aktiv.

Mittel Schicht: In Haushalten mit mittlerem, stabilen Einkommen und meistens auch einem höheren Bildungsgrad hat Sport schon einen anderen Stellenwert – obwohl auch hier oftmals die „Preguica“ überwiegt. Nicht unbedingt immer wg. der sportlichen Bewegung an sich, sondern eher weil man einem Schönheitsideal nacheifert und die hautengen Leggings sitzen müssen, damit sich in Sao Paulo alle nach einem umdrehen. Sao Paulo ist zwar bzgl. Körperkult nicht vergleichbar mit Rio und seinen Stränden, aber in den größeren Parks der Stadt (z.B. Ibirapuera) fühlt man sich an warmen Tagen schon ein wenig wie auf einem Catwalk. Der Lieblingssport der Mittelschicht ist daher auch ganz klar das Fitness-Studio mit den unterschiedlichsten Kursen die angeboten werden. Viele gehen 4 – 5 pro Woche nach der Arbeit ins Studio, die man in jedem Shoppingcenter in allen Preislagen findet. Die meisten Studios haben Trainer vor Ort, die einweisen, Trainingspläne erstellen und für Fragen zur Verfügung stehen.

Aber auch das Joggen/ Laufen in Parks wird immer beliebter, was man an der immensen Anzahl von offiziellen Läufen und unzähligen Vereinen in der Stadt beobachten kann. Samstags treffen sich ab 6h morgen (fast) alle Sport-Vereine auf dem Campus der größten Uni Südamerikas (USP) um zu Joggen, für Fitness, Skateboard oder zum Radfahren. Das Coole ist, dass sich die jeweiligen Vereine um Getränke und Verpflegung während des Trainings kümmern, top Service! Ganz groß im Rennen steht natürlich auch der Fußball. Viele haben eine lose Gruppe Freunde die 1 – 2 x pro Woche ein Feld mitten in der Stadt anmietet. Aber aufgrund der langen Fahrtstrecken und unsicherer Ankunftszeit, ist dies nicht ganz so verbreitet wie anfangs gedacht. Etwas weiter abgeschlagen gibt es dann noch den Volleyball, aber das wars dann schon fast.

Radfahren ist ein sehr junger Sport in Sao Paulo, aber verbreitet sich gerade rasend schnell – insb. weil die Stadt viele Radwege baut (aktuell gibt es schon 300 Kilometer) und sonntags viele Straßen gesperrt sind, damit die Radler in Ruhe fahren können.

Oberschicht: Auch die Oberschicht ist sehr darauf bedacht Sport aufgrund eines körperlichen Ideals zu machen, aber teilweise auch um ein bestimmtes sportliches Ziel wie einen 10 Kilometer zu erreichen – auch gesunde Ernährung sowie Sportnahrung-/ Ergänzungsmittel sind in der höheren Schicht weit verbreitet. Teamsport ist zwar verbreitet, aber die meisten pflegen eher Individual-Sportarten…zum Teil mit Gleichgesinnten. Die meisten reicheren Leute wohnen in einem sogenannten Condominio mit Swimmingpool und Fitness-Studio – insofern gehen viele gar nicht aus dem Haus um Sport zu machen. Es ist eher so, dass 1-2 x die Woche ein persönlicher Fitness-Trainer nach Hause kommt und dann wird nach Anleitung trainiert (diese Coaches sind hier auch echt bezahlbar; 30 Euro pro Stunde)…gefühlt ist auch in dieser Schicht, insb. Sao Paulo, das Fitnessstudio sowie diverse Fitnesstrends (Spinning, Boxen, Zumba) der Lieblingssport. Daneben sind viele Reichere in einem eigenen Sportverein Mitglied, bei dem die Mitgliedschaft pro Jahr einige Tausend Euro kosten kann…diese Vereine sind sehr exklusiv und haben meistens ein großes Schwimmbad, Leichtathletikbahnen, Tennis-, Fußball-Plätze, Fitnesseinrichtungen und unzählige Kurse. Hier verweilen besser situierte Sportler gerne mit ihren Familien am Wochenende…denn die feinen Restaurants und Cafés sind natürlich auch im Sportverein. Und (für viele das Hauptkriterium) durch die Abschottung ist man natürlich auch sicher vor Überfällen und kann die Kids unbeobachtet spielen lassen. Wer keine Lust hat soviel Geld für einen Verein auszugeben, der ist am Wochenende meistens auch in Parks oder an der USP unterwegs, um sein Training auch mal im Freien zu absolvieren. Daneben gibt es einige Golfmöglichkeiten in und um Sao Paulo herum, aber es ist noch keine vergleichbare Aktivität wie in den Staaten oder Europa.

Sehr auffällig ist in Sao Paulo die zunehmende Anzahl teurer, importierter Rennräder- und Mountainbikes. Leider ist die Stadt aufgrund des chaotischen Verkehrs und der Überfallthematik noch nicht soweit, dass man mit einem teuren Rennrad durch die ganze Stadt fahren kann. Aber es gibt z.B. einen eigens bewachten Fahrrad-Weg von ca. 10 Kilometern (an dem riechenden Fluss Pinheiros) an dem alle Rennfahrer Sao Paulos abends und am Wochenende trainieren. Es ist ein sehr monotoner, kurvenarmer Abschnitt, aber dafür ein umso besseres Mentaltraining wenn man 10x hin und her gefahren ist :- )

Fazit Grundsätzlich hat der Sport in Sao Paulo (wahrscheinlich auch Brasilien) noch nicht den gleichen Stellenwert wie in Europa, aber das Bewusstsein dafür nimmt auf jeden Fall durch alle Schichten hinweg zu. Auffällig ist auch, dass die Vielfalt der Sportarten geringer ist als bei uns (u.a. auch durch die Vorherrschaft des Fussballs im TV) – viele Sportarten sind gar nicht bekannt oder für eine Stadt wie Sao Paulo auch zu aufwendig (wer hat schon Lust 2x die Woche 1 Stunde zum Tennisplatz zu fahren). Zudem kommt, dass das warme, schwüle Wetter, fehlender Platz und Gewalt nicht unbedingt die Aktivität im Freien fördert.

Aber (wie in eigentlich allen anderen Bereichen) findet man hier immer eine Möglichkeit Gleichgesinnte zu finden und seinen Sport zu praktizieren – selbst wenn es schwieriger ist als in Deutschland.

Carmen und ich sind noch nicht ganz brasilianisch in unseren Gewohnheiten – wir sind zwar gerne im Schwimmbad und Fitnessstudio unseres Condomino, aber zumeist in Parks/ an der Uni zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Und ab und zu wird auch mit Brasilianer gekickt…

Spannend wird noch die Frage, wie Olympia 2016 in Rio angenommen wird – außer Fußball, Volleyball und Beachvolleyball interessiert sich eigentlich nicht so richtig für die anderen Sportarten. Aber vielleicht gibt das Event dem Land ja auch einen Schub…


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