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Potosi – Der langsame Untergang einer bolivianischen Stadt

Während eines großartigen Bolivientrips mit Rainer und Andreas Anfang des Monats besuchten wir unter anderem eine Stadt namens Potosi (in 4.100 Meter Höhe), die uns nachhaltig beschäftigen sollte.

Wir hatten zwar schon von der Stadt gehört und konnten wage etwas mit dem Namen anfangen, aber waren dennoch sehr erstaunt als wir lernten, dass Potosi 1545 als Bergbausiedlung gegründet wurde und mit knapp 150.000 Einwohnern im 17. Jahrhundert eine der größten Städte der Welt war. Hauptgrund hierfür war der Berg Cerco Rico, an dem insbesondere Silber – später vermehrt Zink, Blei und Kupfer – abgebaut wurde. Insbesondere während der spanischen Kolonialherrschaft wurden auch etliche indigene Zwangsarbeiter zur Arbeit im Berg gezwungen; es sollen in den letzten 500 Jahren bis zu 6 Millionen an diesem Berg gestorben sein. U.a. wegen der harten körperlichen Arbeit unter menschenunwürdigen Umständen, giftigen Gasen, Unfällen durch Sprengungen im Berg, Lungenkrankheiten, Dammbrüchen…

Nachdem der gesamte Bergbau in Potosi 1952 verstaatlicht wurde, beschloss die Regierungen in den 80ern sich aufgrund der nachlassenden Rentabilität aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen und die Schürfrechte an sogenannte Kooperativen zu übergeben…die Kooperativen sind nichts anderes als Teams von 3-4 Personen, die ihr Glück am Berg auf eigene Faust versuchen und dem Staat eine monatliche Steuer zahlen. Jede Kooperative besitzt separate Eingänge, die in den Berg führen und eigene Schächte, die schon existieren oder nach und nach freigelegt werden…die Teams bestehen meistens aus 2 Partnern, die gute Kenntnisse der Mineralien sowie des Berges haben und 1 – 2 Helfern die die abgebauten Materialien mit schweren Metallwägen 2 – 5 Kilometern ans Licht transportieren. Aufgrund dieser Konstellation haben die Kooperativen wenig Anreize gemeinsam in Sicherheit, Infrastruktur oder Technologie zu investieren – das wenige Geld das nach Abzug bleibt, wird für die eigene Familie benötigt. Zirka 11.000 „freiberufliche“ Bergbauer gibt es heutzutage noch am Berg, die Zahl schwankt immer abhängig vom Marktpreis für die abgebauten Mineralien.

Ehemalige oder aktuelle Bergbauer bieten heutzutage Touren an, damit Touristen einen Einblick in den Alltag der Bergbauer bekommen. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen (wobei man dazu sagen muss, dass wir uns vor der Tour wenig mit dem Berg sowie der Geschichte befasst hatten). Los ging es in der provisorischen Umkleidekabine – innerhalb weniger Minuten mutierten wir zumindest äußerlich zu Bergbauern, um dann Richtung Bergbaumarkt zu fahren und dort „Mitbringsel“ für die Bergbauer mitzubringen.

Hier wurde es schon interessant…man bringt nicht etwa Nüsse und Wasser in die Mine…nein: Standard sind Kokablätter mit Kreide um langsamer zu ermüden, 98%iger Alkohol um unter Tage bei Laune zu bleiben, Dynamit für die Sprengungen, Limonade und Kekse für eine gesunde Ernährung. Schon allein dieser Fakt erklärt die geringe Lebenserwartung der Bergbauer in Potosi (zw. 38 – 50 Jahren)…erstmal ganz unabhängig von den Bedingungen unter Tage! Wir lernen auf der Fahrt zum Stollen, dass viele Bergbauer ab 2/3 h nachts im Berg anfangen zu arbeiten (da um diese Zeit die Luft noch einigermaßen i.O. ist) und dann je nach Tageserfolg bis 15/16h bleiben. Wenn die Marktpreise hoch sind, werden wohl auch gerne mehr Stunden geschuftet….oftmals bleibt der „Beruf“ in der Familie, leider auch weil das Familienoberhaupt früh verstirbt und dann die Kinder frühzeitig Geld verdienen müssen. Dies erklärt, warum es heutzutage sehr viele Kinder im Stollen gibt, die statt die Schulbank zu drücken auf das schnelle Geld angewiesen sind – Kontrollen gibt es diesbzgl. nicht.

Der Berg ist durchsiebt von Eingängen, bis zu 600 soll es geben, aber so richtig weiß das niemand. Aktuelle Kartographien des Berges - Fehlanzeige…das Innere des Berges verändert sich tagtäglich. Wir nehmen einer der unzähligen Eingänge - nicht ohne zuvor ein Gebäude zu passieren, an dem Lama-Blut klebt, das jährlich zur Opfergabe an die Götter an die Eingänge geschleudert wird. Das bringt Glück für die Arbeiter…

...ein paar Meter drinnen im Berg wird es ganz dunkel, Licht gibt es nur über unsere Leuchte am Helm. Nach den ersten Metern ist uns etwas mulmig zu Mute (insb. als wir die wenig vertrauenserweckenden Holzkonstruktionen sehen), aber wir laufen tapfer unserer Führerin hinterher, watschen durch Wasser, kriechen durch enge Schächte und verteilen unsere Gaben an die arbeitenden Minenarbeiter, die die Tageserträge ans Licht fahren. Die Luft wird dünner, aber dafür wird es immer wärmer – von draußen 10 Grad hat es drinnen Temperaturen über 30 Grad. Wir schwitzen und haben Probleme unseren Mundschutz im Gesicht zu halten, da das Atmen immer anstrengender wird. Wir wollen gar nicht dran denken, wie schnell wir zusammenklappen würden, wenn wir jetzt auch noch arbeiten müssten.

Nach einem knappen Kilometer kommen wir am Tio vorbei, einem „Schutzheiligen“, den alle Bergbauer huldigen bevor sie die Arbeit starten – man schenkt dem „Onkel“ Kokablätter, Alkohol und dann wird schon alles gut gehen. Danach laufen wir immer weiter in den Berg hinein und können ein paar Bergbauern bei der (für uns) schier unglaublichen Arbeit zuschauen – die Zeit und der Fortschritt scheint hier wirklich stehen geblieben zu sein. Mit einfachstem Werkzeug wird der Berg bearbeitet…und ab und zu hört man Dynamit aus dem Nachbarstollen!

Derweil wird die Atemsituation für uns nicht besser und wir beschließen nicht weitere 2 Kilometer weiterzulaufen, sondern uns langsam wieder Richtung Tageslicht zu gegeben…alleine würden wir hier nicht mehr rauskommen, unglaublich viele Abzweigungen, Schächte, Schienen kommen uns entgegen. Nach knapp 2 fesselnden, aber auch etwas erschreckenden Stunden, sehen wir wieder Licht am Ende des Tunnels und sind einfach nur froh wieder oben zu sein und nicht unter solchen Bedingungen arbeiten zu müssen. Der idyllische Blick über die Stadt täuscht – dieser Berg birgt bis heute viele traurige Schicksale.

Deshalb hat er auch den Spitznamen „der Berg der Menschen isst“. Obwohl selbst der Präsident Evo Morales dem Treiben der Bergleute in Potosí ein Ende bereiten möchte und Fabriken in der Region ansiedeln möchte, ist bisher nicht viel passiert: „Was den Berg anbelangt sollten sich eigentlich die Menschen in Potosí einigen. Viele Bergleute wollen den Berg nicht aufgeben. Ich hoffe, dass die Mineros hier den Kopf nicht verlieren. Ich habe immer wieder gesagt: Es dürfen keine weiteren Risiken eingegangen werden. Wir können die Kumpel ja nicht mit der Polizei aus dem Berg holen. Ich appelliere hier an die Vernunft der Leute in Potosí."

Für uns waren diese paar Stunden eine sehr prägende Erfahrung. Die Geschichte des Berges, die aktuellen Arbeitsbedingungen, aber auch der feste Glaube der Minenarbeiter an Rituale (z.B. Zigaretten mit Teer bringen Glück; daher keine Filterzigaretten) waren wirklich erschreckend. Konkret kann man an dieser Situation natürlich nichts ändern, aber zumindest konnten wir eine ungeschminkte bolivianische Realität kennenlernen und uns mit unseren Jobs und Lebensumständen mehr als glücklich schätzen (was man ja im Alltag nicht immer tut).

Wie wir abends beim Bier lesen konnten, ist der Berg inzwischen auch einsturzgefährdet. Wie aus Aufzeichnungen hervorgeht, notierten die ersten Messungen Mitte des 16. Jahrhunderts seine Höhe noch deutlich über 5000 Meter, inzwischen sind es nicht einmal mehr 4800 Meter. Der Abbau oberhalb von 4400 Metern ist inzwischen verboten, auch wenn sich viele Kumpel nicht daran halten.


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