top of page

Das Rätsel der Chapada dos Veadeiros

Für ein verlängertes Wochenende setzten wir uns Mitte November in den Flieger Richtung Brasilia um dort die Region Chapada dos Veadeiros kennenzulernen – ein Naturschutzgebiet mit unzähligen Wasserfällen, einer vielfältigen Pflanzenwelt und großartigen Wandermöglichkeiten (UNESCO Weltkulturerbe), das ca. 2 Stunden nördlich von Brasilia liegt.

Zu der hohen Anziehungskraft der Region trägt eine riesige Quarzkristall-Platte bei, die, so sagen die Esoteriker, eine besonders starke Energie verleiht und deshalb ihresgleichen aus allen Teilen des Planeten an diesem mystischen Treffpunkt vereint hat. Daher trifft man in dem kleinen Hauptort der Region Alto do Paraiso auf allemöglichen Abenteurer, Hippies und Jogis. Es gibt in der Umgebung viele holistische Therapieangebote und experimentelle Projekte, die sowohl durch Regierungs- als auch durch Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden und allesamt auf eine nachhaltige Entwicklung der Region ausgerichtet sind. Was wir nach unserem Besuch bestätigen können ist, dass die Chapada dos Veadeiros im Gegensatz zu Sao Paulo wunderbar grün und ruhig ist, so dass man sich tatsächlich schnell in einem entspannteren Gemütszustand fühlt. Nur ein Jeep mit Außerirdischen als Beifahrer, der die kleinen Straßen von Alto Paraiso hoch und runterfährt, ist etwas kitschig. Aber auch das passt irgendwie ein wenig ins Bild…

Wir hatten uns über Booking.com bei einem Deutschen namens Christof (ca. 50 Jahre) eingebucht, der mitten in der Natur eine riesige Fazenda mit weitem Blick auf das grüne Plateau der Chapada errichtet hat. Schon die ruckelige Anfahrt über Sandpisten war ein Abenteuer – am Tor wurden wir erstmal bei strömenden Regen von einem Schild „Human Design System“ empfangen. An der Haustüre wartete dann besagter Christof, zwei Brasilianerinnen von ca. 25 Jahren (die nur portugiesisch sprachen), ein Deutscher von ca. 30 Jahren (der englisch und deutsch sprach), zwei Hunde und ein Junge von 10 Jahren (der englisch und ein wenig portugiesisch sprach). Da der Vermieter eher wortkarg war, blieb dieser erste etwas wunderliche Eindruck zunächst unkommentiert und wir mit unseren Fragen zurück (Wie gehören diese 5 Personen zueinander? Können die sich überhaupt verständigen? Und wieso baut ein Deutscher im Nirgendwo eine riesen Fazenda?).

Die wesentlichen Informationen zum Haus bekamen wir von den beiden Brasilianerinnen und sie informierten uns auch dass es seit 2 Tagen keinen Strom auf dem Anwesen gab. Während sie uns für die Nacht mit Kerzen und Taschenlampe ausstatteten stellten die beiden uns auch allerhand interessante und interessierte Fragen, woher aus Deutschland wir kämen, in welchem Bereich wir arbeiten würden und warum in Brasilien, ob wir an Außerirdische glaubten und was man jemanden den man vor 5 Minuten kennengelernt hat eben noch so fragt. Die Atmosphäre im Haus war sehr entspannt und gemütlich, aber dennoch fühlten wir uns ein wenig schlecht als Carmens Arbeitgeber zur Sprache kam ("BASF? Naja, die machen alles mögliche, aber eben nichts für den Endkonsumenten, ich glaube nicht dass Ihr die kennt...") oder wir feststellten, dass es ein rein vegetarischer Haushalt war und wir uns zum Frühstück eine schöne große Salami eingekauft hatten. Die Salami blieb somit im Koffer und reiste wieder mit zurück nach Sao Paulo, während wir hausgemachte Pasten und Tinkturen probieren durften - nur um dann doch wieder unser eigenes (ebenfalls mitgebrachtes) Müsli zu bevorzugen.

Am nächsten Morgen brachen wir dann früh auf, um im Nationalpark wandern zu gehen und wurden mit großartigen Aussichten, schönen Wanderpfaden und Naturschwimmbädern belohnt…selbst eine Stunde mit starkem Wind und Regen konnte uns nichts anhaben. Beeindruckend war auch die gute Wegbeschreibung, die Naturschutzprojekte vor Ort und die Sauberkeit im gesamten Park. Wir haben nicht eine Verpackung oder Zigarette gesehen, was in Brasilien sonst sehr selten der Fall ist.

Abends war dann das klare Ziel die Rätsel unserer Unterkunft zu lösen – aber da wir spät nach Hause kamen, konnten wir leider keinen der Mitbewohner erhaschen und mussten mit allen offenen Fragen eine weitere Nacht verbringen. Erst das Frühstück am nächsten Morgen und ein paar über den Tag verteilte zusätzliche "Indizien" brachten etwas mehr Licht in die Angelegenheit: Unser Vermieter Christof hatte vor seiner Zeit in Brasilien beteits 15 Jahre in Indien gelebt und dort angefangen als "Human Design System"-Berater zu arbeiten. Im Internet findet man dazu folgende Erklärung: Das Human Design System arbeitet mit der uralten Annahme, dass unser Geburtsmoment untrennbar mit der davor abgelaufenen „Programmierung“ unserer Gene und unserer Entwicklung verbunden ist. Eine Computer Berechnung verbindet nun unsere Geburtsdaten mit dem binären Code des chinesischen I Gings und überträgt diese in eine „biochemische Landkarte“, das Körperdiagramm, das sogenannte Rave Chart. Auf dem persönlichen Rave Chart kann man dann die grundlegenden genetischen Muster der Persönlichkeit verfolgen und Strategien für ein Leben ohne Widerstand ablesen. Geistige und körperliche Gesundheit, Beziehungen, Verhalten, Entscheidungsfähigkeit, Identität und Ihre Art der Wahrnehmung und des Antriebs – all das und vieles mehr lässt sich mit dieser individuellen, genetischen „Bedienungsanleitung“ erklären. Schuld und (Selbst)Vorwürfe existieren nicht mehr, ein Leben im Einklang ist die natürliche Folge.“ Im Zuge eines Vortrages in Brasilia Anfang 2000 war er auch nach Alto Paraiso gekommen und hatte beschlossen, dass er an diesem mystischen Ort leben wollte – um entfernt vom chaotischen Stadt- und Konsumleben möglichst autark zu sein und seinem Beraterjob nur noch über das Internet nachzugehen. Er kam dann mit seiner kroatischen (damals Noch-, nun Ex-)Frau, nach Alto Paraiso, bekam einen Sohn und baute sich sein riesiges "Traumhaus" auf dem noch riesigeren Anwesen. Mittlerweile stehen auf dem Gelände wohl noch ein paar weitere Wohnhäuser (allerdings so verdeckt & weit entfernt, dass wir die nichtmal wirklich gesehen haben) und in einem dieser Häuser wohnt die ominöse Frau zum englisch & portugiesisch sprechenden, zehnjährigen Kind. Schlechte Erfahrungen mit brasilianischen Hausangestellten brachten den Hausherren dazu nur noch junge Freiwillige über die Organisation WWOOF (ein weltweites Netzwerk, das von der Idee getragen wird Menschen zusammenzubringen, die einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land führen oder aktiv kennen lernen wollen) gegen Kost und Logis für die Haus- und Landarbeit bei sich zu beschäftigen. Das sei um einiges besser, da die meisten Freiwilligen motiviert ankommen…das erklärte also auch die Präsenz der drei weiteren, wesentlich jüngeren Hausbewohner. Nachdem wir das Rätsel gelöst hatten, konnten wir am letzten Tag noch einmal beruhigt die Chapada dos Veadeiros genießen - der freundlichen Einladung, uns doch auch einmal eine Human Design-Session zu gönnen, sind und werden wir aber trotzdem nicht nachkommen.


bottom of page