Nach drei großartigen Wochen Heimaturlaub (zumindest für mich, Carmen hatte nur 10 Tage – kommt dann aber im Mai etwas länger vorbei) mit ausgiebigen Klassennachtreffen, Hochzeitsfeier, Weihnachtsschlemmen, Kälteschocks, Familien- und Freundestreffen, sind wir nun wieder im brasilianischen Sommer angekommen. Und zum ersten Mal wurde uns bewusst, dass man nach knapp 2 Jahren „Abstand“ von der Heimat so zwischen zwei Welten lebt. Inzwischen sind wir in Brasilien angekommen, sprechen die Sprache, kennen die Kultur, kennen die Vorzüge und die Gefahren des Lebens hier…aber wir wissen auch, dass wir nun mal keine Brasilianer sind und auch sehr wahrscheinlich niemals werden. Wir haben uns angepasst und integriert, können die meisten kulturellen „Faux Pas“ umgehen, schätzen in vielen Situationen die brasilianische Lockerheit und die Energie im Lande…unsere europäisch-kulturelle Prägung (Werte und Tugenden) und Denkweise (eher logisch, rational) haben wir jedoch beibehalten. Noch immer stolpern wir häufig über Situationen oder Reaktionen, die wir zwar verstehen, aber die uns dennoch sehr fremd sind (z.B. immer erstmal den eigenen Vorteil vor Augen haben oder eine Situation nur emotional zu bewerten, aber nicht faktenbasiert). Trotz einer gehörigen Portion an Flexibilität und Adaptabilität, die wir hier kennen- und schätzen gelernt haben, fällt uns immer wieder auf, dass wir nicht „brasilianisch“ sind.
Wieso erzähle ich das eigentlich – klingt wahrscheinlich nicht nach einer weltbewegenden Erkenntnis? Das interessante ist, dass man sich nach knapp 2 Jahren im Ausland auch nicht mehr „zu Hause“ (also in Deutschland) als integrierter Teil der Gesellschaft ansieht, was mir in den letzten 3 Wochen bewusst geworden ist. Man merkt, dass man auf Urlaubsreise ist und beobachtet viele Sachen die einem früher nicht so richtig aufgefallen sind und die man schon immer als gegeben hingenommen hat – im Positiven sowie im Negativen. Ich habe z.B. meinen Schal im Schwimmbad liegen lassen und konnte ihn zwei Tage später an der Kasse abholen, ein Gast hatte ihn abgeben – ich war richtig begeistert, da dies in Brasilien eher unwahrscheinlich ist (ok, da braucht man auch kein Schal : )). Da wir Deutschen wohl noch immer sehr von Tugenden der Aufklärer oder Persönlichkeiten wie Martin Luther geprägt sind bestimmen Fleiß, Disziplin, Aufrichtigkeit, Loyalität noch heute den Alltag von vielen; aber was manchmal fehlt (und das kann man hier in Brasilien beobachten) ist die Leichtigkeit des Seins und Lebens – wir haben in Deutschland schon ein so hohen Lebensstandard erreicht, aber es scheint als reiche das vielen Menschen nicht. Die Konsequenz ist eine gewisse Unzufriedenheit, eine Portion Unsicherheit was die Zukunft bringt, nicht im Hier und Jetzt zu leben, das Leben eher negativ als positiv zu sehen…zu Nörgeln gibt es immer etwas. Ich frage mich dann was passiert, wenn wir mal nicht auf einer wirtschaftlich erfolgreichen Welle schwimmen oder eine politische Instabilität haben sollten? Das sind wahrscheinlich nach wie vor alles Dinge, die irgendwo schon immer klar sind, aber es ist sehr interessant sie mit einem „2 Jahres Abstand“ selbst beobachten zu können.
Ich hätte auch nie gedacht, wie wichtig das Klima für eine Kultur sein kann und damit verbunden das Leben, das sich mit eher kälteren oder wärmeren Temperaturen entwickelt. Selbst ich habe mich sehr an T-Shirt Wetter das ganze Jahr gewöhnt und hatte Probleme mich wieder an die Kälte (und damit verbunden einen anderen Tagesablauf) zu gewöhnen. Ich habe mir ein paar Mal überlegt, ob ich bei Minusgraden aus dem Haus soll oder nicht…solche Gedanken waren mir vor unserer Brasilienerfahrung völlig fremd. Darüber hinaus ist man natürlich nach 2 Jahren auch etwas raus aus der Tagespolitik, den gesellschaftlichen Entwicklungen im Land, den aktuell wichtigen Themen. Obwohl man viel darüber liest, kommt man sich bei Diskussionen nicht ganz so involviert vor, da es einen persönlich aktuell nicht konkret betrifft. Dadurch entwickelt sich aus meiner Sicht nach 2 Jahren so etwas wie ein Leben „zwischen zwei Welten“. Wahrscheinlich braucht man nach einer längeren Auslandserfahrung wirklich einen neuen Integrationskurs : )