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Monte Azul – zur richtigen Zeit am richtigen Ort…obrigado!

Die letzten Tage bei der Arbeit waren von ersten traurigen, aber auch feucht-fröhlichen Abschiedsfeiern geprägt. Nach über 2.5 Jahren heißt es nun für mich Abschied nehmen, obwohl ich die nächsten Wochen Monte Azul noch beratend zur Seite stehe.

Wenn ich mich an die Anfänge zurück erinnere, war meine erste Reaktion auf Carmens Expat-Angebot in Sao Paulo etwas durchwachsen. Zu negativ war mein Bild damals von der Stadt, insb. was Kriminalität, Stau und Größe anbelangt. Aber ich versuchte nach einigen Tagen das neue Abenteuer als Herausforderung zu sehen und wurde, je mehr ich mich vor dem Abflug mit Sprache und Kultur beschäftigte, zunehmend positiver und optimistischer. Nur was macht man in einem Land, in dem man die Sprache nicht spricht und es wenig Aussicht auf einen Job in der eigenen Company (Freudenberg) sowie bei BASF gibt? Vieles ging mir anfangs durch den Kopf so dass ich unterschiedlichste Wege durchgespielt habe – von Currywurst-Bar aufmachen (sehr bürokratisch in Brasilien), wieder als Berater bei Deloitte einsteigen (auf Koffern leben und Projekte auf Englisch) oder vielleicht doch in den sozialen Bereich (in dem ich schon über ein GTZ-Praktikum in Amman sowie über ein Tennis-Afrika Projekt ein bisschen Erfahrung hatte). Ich entschied mich als Einstieg für Letzteres, insb. weil ich in diesem Bereich auch ohne Arbeitsvisum von Anfang arbeiten konnte (zumindest ehrenamtlich) und so von Anfang an die Sprache erlernen konnte um nach ein paar Monate ggbfs. etwas anderes zu machen. So traf ich im Internet per Zufall auf die NGO Monte Azul die Ende der 70er Jahre von der Deutschen Ute Crämer (heute 79 Jahre alt) gegründet wurde und seitdem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Kultur aktiv ist. Heute arbeiten knapp 2.000 Mitarbeitern in über 25 Projekten (Budget: 35 Millionen Euro/ Jahr), wobei der Gesundheitsbereich (13 Gesundheitszentren mit Ärzten, Krankenschwestern und Administration) vom Bundesstaat Sao Paulo finanziert wird und der entwicklungspolitische Teil zum Großteil von privaten Sponsoren lebt.

Nach einem Telefoninterview mit einer der Co-Gründerinnen (Renate Keller) startete ich meine ehrenamtliche Arbeit im März 2015 und fing an das zu machen, was ich viele Jahre bei Deloitte und zum Teil auch bei Freudenberg gelernt hatte: Den gesamten Administrations-Bereich (Konzepte, Prozesse, Personen, Systeme) analysieren und im Zusammenspiel mit Vorstand/Mitarbeitern zu verbessern. Klingt sehr dröge, aber die schnellen Resultate, das Vertrauen der Mitarbeiter, die Notwendigkeit für Veränderung aber auch die vielen unterschiedlichen Projekte, die allesamt das Leben vieler sozial schwacher Familien, Jugendlicher, Kinder und Babys verbessern, haben mich von Anfang begeistert. Es war als hätte ich die letzten 10 Jahre bei Deloitte und Freudenberg gelernt, um hier in Sao Paulo Veränderungen herbeizuführen! Ein schönes Gefühl – glücklicherweise nicht nur von mir, sondern auch seitens der GründerInnen und Mitarbeiter geteilt – so dass ich ab August 2015 (als auch die Sprache nicht mehr ganz so holprig war) den Posten des Finanzleiters übernahm.

Wie in so vielen NGOs bleibt oftmals wenig Geld bzw. Fokus für die internen, nicht sichtbaren Themen der Administration. Ein potentieller Geldgeber möchte seinen „sozialen Impact“ sehr viel lieber ganz konkret an der Entwicklung eines Kindes oder Programmes sehen, aber weniger an der Investition eines IT-Systems – die Folge sind viele manuelle Prozesse, wenig fachliche Ausbildungen oder Karrierepfade und wenig Nutzung von neuen Techniken/ Innovationen. Genau dies traf ich im Administrationsbereich von Monte Azul an: Kein Interesse für Zahlen in den einzelnen Projekten, viel Intransparenz hinsichtlich der Mittelverwendung, Cash-Flow Probleme und wenig Motivation bei den Mitarbeitern im Administrationsbereich.

All das war Antrieb genug viele Strukturen, Prozesse und Verantwortlichkeiten umzukrempeln – insbesondere die Kluft zwischen den Projektleitern und dem Administrationsbereich war eine der größten Herausforderungen. Mit viel Kommunikation, Austauschprogrammen und auch mehr Autonomie für einzelne Mitarbeiter konnten wir diese Kluft nach und nach schließen...und viele Mitarbeiter konnten dadurch auch mehr Sinn in ihrer Arbeit finden. Aber es gab auch immer wieder schwierige Situationen: insbesondere komplizierte Verhandlungstermine mit dem Gesundheits- und Finanzministerium in Sao Paulo, da Stadt und Bundestaat hauptsächlich aus politischen Gründen ein hartes Sparprogramm fährt und bspw. von heute auf morgen die vertraglich zugesicherten Gelder um knapp 20% gekürzt hat, was einen großen Einfluss auf unsere Gesundheitsstationen hatte bzw. bis heute hat. Es ist manchmal echt traurig zu sehen, wie der ärmste Teil der brasilianischen Bevölkerung von der Willkür korrupter Politiker abhängt. Auch intern gab es natürlich immer wieder Reibereien, da nicht alle alteingesessenen Mitarbeiter die neue Transparenz und notwendige Veränderungen wie z.B. inhaltliche Weiterbildungen akzeptierten und für gut hießen. Aber glücklicherweise war der Großteil der Mitarbeiter Teil des Wandels, was vieles erleichtert hat – und in Brasilien kann man wirklich in wenigen Tagen ganz neue Philosophien einführen (soweit man die Mitarbeiter für sich gewinnen kann).

Ich selbst bin einfach nur dankbar für diese Erfahrung, Bereicherung und Chance, die sich mir geboten hat. So richtig kann ich es noch gar nicht realisieren, was alles in den letzten knapp 3 Jahren passiert ist, aber ich weiß dass es für mein Leben sehr bedeutend war und in der Zukunft sein wird. Insbesondere der etwas klarere Blick für die (ganz unterschiedlichen) sozialen Herausforderungen auf unserer Welt, die nicht nur durch mehr Marktwirtschaft oder verbesserte allgemeine Ausbildung gelöst werden können. Je mehr wir gesellschaftliche Gruppierungen vom „sozialen Leben“ ausschließen (bzw. nicht integrieren und zusätzlich fördern) und nicht auf die Bedürfnisse dieser Personen eingehen, desto mehr werden Unmut, Kriminalität und Populismus zunehmen – die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich in vielen Regionen auf der Welt untermauert leider diese Tendenz. Das Fazit ziehe ich insbesondere aus meiner Brasilien-Erfahrung, aber wenn ich mir die jüngsten Wahlergebnisse aus USA oder in Europa anschaue, scheint dies leider ein globaler Trend.

Persönlich werde ich natürlich am meisten den entspannten „brazil way of life“, die alltägliche, unvorhersehbare Dynamik (die mich am Anfang einfach nur fertig gemacht hat) und die Herzlichkeit der Menschen vermissen. Obrigado, BRAZIL!


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